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„Mister kicker“: Erfinder der Rangliste und des Bundesliga-Sonderhefts

Am Freitag jährt sich der Geburtstag von Karl-Heinz Heimann zum 100. Mal. Jörg Jakob erinnert an den prägenden Chefredakteur.

Heimann wäre am Freitag 100 Jahre geworden

Die erste persönliche Begegnung begab sich in seinem „Wohnzimmer“ in der Badstraße. Sie hinterließ bleibenden Eindruck. Ende der 1980er Jahre saß ich Karl-Heinz Heimann in seinem Büro in der Nürnberger kicker-Zentrale gegenüber. Dunkles Holz, ein Schreibtisch über und über mit Zeitschriften bedeckt, darunter viele „eigene“ Ausgaben und Sonderhefte. Vor allem aber: etliche Sport-Magazine und Tageszeitungen aus dem Ausland. Ein Duft von großer, weiter Fußballwelt.

Dass daneben eine eher dunkle, neblige Atmosphäre erinnerlich ist, muss auf den unaufhörlichen Zigarettenrauch zurückzuführen sein. An Heimanns mildem Lächeln kann es nicht liegen. Der Chefredakteur war zugewandt, wirkte, bei allem Respekt ihm gegenüber, gar nicht streng. Als Redakteur Harald Kaiser eintrat und die Produktion des monatlichen Heftes fußball-magazin abmeldete, bedankte sich Heimann für diese eine von Tausenden Druckfreigaben seiner beruflichen Laufbahn, die ihm den verehrenden Beinamen „Mister kicker“ einbrachte.

Vertrautes Gespräch mit Beckenbauer über die Nationalmannschaft

Die erstaunlichste Unterbrechung des Gesprächs sollte jedoch noch folgen, als das Telefon gegenüber einem Stapel kicker-Almanache und der Olympia-Schreibmaschine klingelte. Am anderen Ende von Schnur und Leitung war der Kaiser, wie Heimanns freudiges „Hallo, Franz!“ verriet. Es entwickelte sich ein vertrautes Gespräch über die Nationalmannschaft im Allgemeinen und eine Terminvereinbarung im Besonderen.

Hier saß also tatsächlich der Mann, den der junge Besucher erwartet hatte: Was ein Ernst Huberty, Dieter Kürten oder Harry Valerien im Fernsehen waren, stellte Heimann auf Papier dar: eine Instanz des Sportjournalismus, führend im Fußball, aber nicht nur dort. Heimann war der erste Chefredakteur und spätere Herausgeber des kicker-Sportmagazins und drehte den Scheinwerfer, die regelmäßig darin erscheinende Kolumne, in alle Richtungen.

Im Zentrum von Heimanns Expertise stand die Sowjetunion

Heimanns wohltuend nahbare Art, trotz seiner fortwährenden Nähe zu Größen wie Beckenbauer, Uwe Seeler und, und, und hätte mich nicht überraschen sollen. Schon Mitte der 1970er Jahre hatte er mir, dem Teenager, doch tatsächlich persönlich auf einen Leserbrief geantwortet, vielleicht schon getippt auf der Olympia in seinem sprichwörtlichen Wohnzimmer. Leser-Blatt-Bindung vom Feinsten. Damals war es um englische Torhüter wie Mervyn Day von West Ham United gegangen.

Das Zentrum von Heimanns Expertise und besonderen Beziehungen war jedoch, anders als bei kicker-Gründer Walther Bensemann, nicht im Mutterland des Fußballs zu verorten, sondern in der Sowjetunion. Heimann verbanden Freundschaften mit der russischen Torhüter-Legende Lev Yashin und, besonders eng, mit der ukrainischen Trainer-Ikone Valeriy Lobanovskyi.

In russische Gefangenschaft geraten, überlebte der 1924 in Dortmund geborene, im brandenburgischen Falkensee aufgewachsene Heimann den 2. Weltkrieg. Getragen von Begeisterung für den Fußball und der Fähigkeit, die Sprache des Feindes zu erlernen. Beides verband den Deutschen mit seinen Wärtern. Der Ursprung der späteren guten Verbindungen zu den Verbandsvertretern der UdSSR.

Es heißt, wenn das DFB-Aufgebot auf einer Länderspielreise in Moskau noch bei der Passkontrolle Schlange stand, sei Heimann bereits wie ein Staatsgast empfangen und in einer Limousine ins Hotel chauffiert worden. Dem Kontakt der Sowjets zum fränkischen Sportartikel-Hersteller Adidas schadete Heimanns „Netzwerk“ unterdessen wohl nicht, als es diesen heutigen Business-Begriff noch gar nicht gab.

Heimann warb für die Bundesliga und erfand das Sonderheft

Sprache und Fußball öffnen Türen. Das gilt für die Vita Heimanns ganz gewiss. Er war ein Segen für die Entwicklung der Marke kicker. Heimanns Nachfolger als Chefredakteur und Herausgeber, Rainer Holzschuh, hat 2020 im Sonderheft zu 100 Jahren kicker an seinen „Mentor“ erinnert, der „ein Vordenker“ war, weil er mit seinen fachlich vortrefflichen Kommentaren für die Einführung der Bundesliga warb und vor 1963 bereits so manchen Kritiker von diesem Erfolgsmodell überzeugte.

Heimann war Chef vom Dienst des kicker, ehe er nach der Fusion von kicker und Sportmagazin 1968 zum ersten Journalisten des zweimal in der Woche erscheinenden Blattes aufstieg. Da hatte er bereits sowohl die Rangliste (von 1956 an) als auch die Wahl des Fußballers des Jahres (1960 erstmals Seeler) erfunden. Auch das Original, das Bundesliga-Sonderheft des kicker, konzipierte Heimann.

Als Chef überzeugte er mit Fachwissen, Organisationsgabe und Vertrauen in seine Redaktionskollegen. Nach seinem offiziellen Ausscheiden zum 31. Dezember 2009 und bis zu seinem Tod am 13. Juli 2010, zwei Tage nach dem Endspiel der WM in Südafrika, war Heimann ein ständiger Besucher und inspirierender Gesprächspartner in der Redaktion und der Kantine in der Badstraße. Würde „Mister kicker“ noch leben, würde er am Freitag seinen 100. Geburtstag feiern. Er bleibt unvergesslich und beeindruckend.

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