Die Eintracht kassiert zu viele Gegentore. Zuletzt entbrannte auch eine Diskussion über die passende Grundordnung. Sportdirektor Timmo Hardung bezieht Stellung und fordert mehr Gier im Defensivverhalten.
Eintracht-Sportdirektor über Spielidee
Die kicker-Chancenstatistik weist Eintracht Frankfurt aktuell als das effizienteste Team der Liga aus. Die Hessen nutzten 35 Tormöglichkeiten zu 17 Treffern (48,6 Prozent), auf Platz 2 folgt der FC Augsburg (42,3 Prozent). Die Kaltschnäuzigkeit spiegelt sich auch in den Expected Goals wider. Im Schnitt kommen die Hessen auf 1,7 xGoals pro Spiel (Ligaschnitt: 1,5 xGoals), erzielten aber 2,8 Tore (Ligaschnitt: 1,6).
Eine ähnlich deutliche Abweichung gibt es bei den Gegentoren. Pro Spiel weist der xGoals-Wert für die Gegner der SGE 1,5 Tore aus, womit sich die SGE ziemlich genau im Ligaschnitt befindet. Durchschnittlich 2,7 Gegentore übersteigen den Mittelwert aller Bundesligisten (1,6) aber deutlich. Mehr noch: 16 Gegentore nach sechs Spieltagen sind ein historisch schlechter Wert für die Frankfurter. Zuvor waren es maximal 13 Gegentreffer (letztmals 1994/95).
Eine Frage der Gier?
„Wir spielen viele Chancen heraus und erzielen viele Tore. Da zeigen wir eine brutale Bissigkeit und Galligkeit. Genau dieses Level müssen wir auch in der Defensive hinbekommen“, fordert Timmo Hardung. Der Sportdirektor ist überzeugt: „Dann machen wir es dem Gegner ungemein schwer, Tore zu erzielen. Wir werden trotzdem nicht jedes Spiel zu null spielen. Aber wir werden es schaffen, dass der Gegner wirklich mal etwas investieren muss, um Tore zu schießen.“
Das habe etwas mit „Fokus und Gier“ zu tun. Man könnte auch sagen: mit den Grundtugenden des Fußballs. Hardung weiß, dass es sich nicht einfach nur um eine unglückliche Phase handelt: „So gehen wir da nicht ran. Wir wissen schon, in welchen Punkten wir griffiger, gieriger sein müssen.“ Zum Beispiel in den entscheidenden Zweikämpfen.
Die Frage nach der besten Formation
Zweifel an der taktischen Herangehensweise weist Hardung zurück. Speziell rund um die Spiele bei Atletico Madrid (1:5) und gegen Bayern München (0:3) wurde in Medien und unter Fans viel darüber diskutiert, ob es nicht erfolgsversprechender gewesen wäre, eine Dreier-/Fünferkette (3-4-3 oder 3-5-2) aufs Feld zu schicken.
Ex-Kapitän Sebastian Rode erklärte vor einer Woche im kicker: „In der vergangenen Saison war die Stabilität in der Abwehr noch das Faustpfand. Da spielte die Eintracht viel im 3-4-3. In dieser Grundordnung ist es etwas leichter, die Seiten abzudecken, weil aus der Dreierkette immer ein Mitspieler zur Unterstützung herausrücken kann.“
Die fehlende Unterstützung war speziell beim 1:5 in Madrid ein Problem. Rode: „In der Viererkette hatten Nnamdi Collins und Nathaniel Brown gegen Atletico einige Probleme, der Gegner kam zu oft in ihren Rücken. Vor dem 0:1 musste Brown ins Eins-gegen-eins mit Giuliano Simeone, keiner half ihm. Da passiert es schon mal, dass du die Flanke nicht verhindern kannst.“
Für Hardung steht das Thema Dreier- oder Viererkette nicht im Zentrum der Überlegungen. Der 35-Jährige analysiert: „Das Thema ist nicht, in welchen Räumen wir agieren, sondern wie wir in diesen Räumen agieren. Das heißt, wir sind schon in den Räumen da. Wir verhalten uns nur falsch, haben in den entscheidenden Zweikämpfen nicht die letzte Gier.“
Kochs Paraderolle
Da dürfte niemand widersprechen. Nach dem Ausfall von Rasmus Kristensen stellte sich in den vergangenen Wochen allerdings schon die Frage, ob die Viererkette mit dem formschwachen Collins oder Aurelio Buta stabil genug ist. Hinzu kommt: Abwehr-Organisator Robin Koch ist meist dann am stärksten, wenn er im Zentrum einer Dreierkette verteidigen kann.
In dieser Rolle lag sein kicker-Notenschnitt in 30 Bundesligaspielen für Eintracht Frankfurt bei 3,0. In der Viererkette (36 Einsätze) fällt der Notenschnitt mit 3,43 signifikant schlechter aus. Wenn Top-Spieler wie Luis Diaz oder zuvor Julian Alvarez in Madrid auf ihn zurennen, ist er nicht schnell und agil genug, um in den Zweikampf zu kommen und sauber zu klären.
Durch die Rückkehr von Kristensen spricht viel dafür, dass Trainer Dino Toppmöller auch im kommenden Spiel in Freiburg auf eine Grundordnung im 4-2-3-1/4-3-3 setzen wird. Drei Tage später wird sich vor dem Heimspiel gegen den englischen Meister FC Liverpool jedoch abermals die Frage nach einer Umstellung auf ein 3-4-3 oder 3-5-2 stellen – um die hochklassigen Flügelspieler (Salah, Gakpo, Frimpong) mit einem Mann mehr in der Abwehrkette womöglich besser in Schach halten zu können.
Flexibilität ist gefragt
Ob die Mannschaft im 5-3-2 oder im 4-4-2 besser verteidigen kann, lässt sich allerdings nicht pauschal beantworten. Das hängt nicht zuletzt auch vom Gegner und dessen Stärken ab. Beide Herangehensweisen haben ihre Vor- und Nachteile. Wichtig ist, dass sich die Spieler in der Formation wohlfühlen und die Automatismen greifen. Schon unter Toppmöllers Vorvorgänger Adi Hütter gab es Phasen, in denen sich das Team in einer Viererkette wohler fühlte. In anderen Phasen erwies sich ein 3-5-2 oder 3-4-3 als bessere Wahl.
Auch Toppmöller wechselte die Grundordnung mehrfach. In der vergangenen Hinrunde baute er mit den beiden Top-Stürmern Omar Marmoush und Hugo Ekitiké häufig auf ein 4-4-2. Nach Marmoushs Abgang im Winter erwies sich zunächst die Umstellung auf 3-4-3 als cleverer Schachzug. Im Europa-League-Achtelfinale in Amsterdam (2:1) gewann die Mannschaft dann aber im 4-2-3-1. Am 34. Spieltag wiederum setzte der Coach auf ein 3-5-2, um in Freiburg (3:1) den Einzug in die Champions League einzutüten. Will heißen: Die Frage nach der passenden Grundordnung lässt sich nicht dogmatisch beantworten.
„Das ist unsere Philosophie“
Grundsätzlich will die Eintracht auch weiterhin für eine mutige, offensive Spielweise stehen. „Wir verteidigen eine Spur höher. Das ist unsere Philosophie. Es ist auch unser Wunsch, uns nicht immer im tiefen Block hinten reindrängen zu lassen“, sagt Hardung und nennt „hohes Anlaufen, hohes Pressing, hohes Gegenpressing“ als Mittel der Wahl. „Dafür brauchst du natürlich Mut.“
Den benötigt die Mannschaft auch beim Spielaufbau. „Wir versuchen gerne, hinten herauszuspielen, weil wir spielstark sind. Ganz entscheidend ist aber: Der Spielaufbau ist ein Mittel zum Zweck. Wir machen das nicht, damit es schön aussieht. Wir wollen ein Tor erzielen. Oft ist es der beste Weg zu einer Torchance, einen Gegner, der uns hoch anläuft, trotzdem auszuspielen, weil wir dann zwei, drei, vier Spieler schon überspielt haben und Angriffe besser zu Ende führen zu können.“
Lange Bälle sind deshalb aber nicht verpönt. Der Sportdirektor betont: „Wenn uns eine Mannschaft Harakiri anläuft und hinten alles offen lässt, spielen wir einen langen Ball und rennen allein aufs Tor. Dafür werden wir uns nie entschuldigen.“