Dem Hamburger SV ist in München das Erwartbare widerfahren, insofern ist das 0:5 vom Samstagabend kein Grund, den Alarmzustand auszurufen. Zur Wahrheit aber gehört auch: Es hätte deutlich schlimmer kommen können, wenn der Rekordmeister mit dem Fuß auf dem Gaspedal geblieben wäre.
0:5 in München, und es hätte schlimmer kommen können
Der HSV hat in den Jahren vor dem Bundesliga-Abstieg viele Negativrekorde in München aufgestellt, die letzten acht Gastspiele allesamt verloren und dabei 3:50 Tore kassiert – und doch ist beim Comeback Historisches passiert. Denn: Mit 0:4 haben die Hanseaten in ihrer Bundesliga-Historie als einstiger Dino nach 30 Minuten noch nie (!) zurückgelegen. Es war die Folge von großer Naivität im Abwehrverhalten, die nicht allein damit zu erklären ist, dass Merlin Polzins Dreierkette gegen die Bayern ein „Kinder-Riegel“ war.
Der Kinder-Riegel braucht etwas Erwachsenenfußball
Mit Luka Vuskovic (18) als zentralem Mann und Aboubaka Soumahoro (20) als linkem Innenverteidiger hatte sich der Trainer für zwei Debütanten entschieden, und während der Einstand des Bruders vom gesperrten Mario Vuskovic zumindest die Fantasie lässt, dass er in einem gefestigteren Gefüge gegen einen anderen Gegner als den FC Bayern zur Verstärkung werden kann, fehlt diese nach dem Vortrag von Soumahoro. Der Minutenzeiger hatte noch nicht einmal eine Umdrehung gemacht, als der Franzose einen gefährlichen Freistoß verursachte und fortan mit Gelb belastet war; er war beteiligt beim Blitzgegentor nach drei Minuten und hätte in der 23. Minute nach einem dummen Handspiel im Strafraum bei konsequenter Regelauslegung Gelb-Rot sehen müssen.
Polzin erlöste den Debütanten zur Halbzeit, und der für Soumahoro gekommene Daniel Elfadli zeigte, dass Erwachsenenfußball zwingend nötig ist, wenn der Kampf um den Klassenerhalt nicht so aussichtslos enden soll wie der Vergleich mit den Bayern. Soumahoro, Linksaußen Alexander Rössing-Lelesiit, aber auch als Eckpfeiler eingeplante Profis wie Nicolai Remberg oder Ransford-Yeboah Königsdörffer präsentierten sich am Samstag – abermals – nicht auf Bundesliga-Niveau, doch die Schwierigkeiten des Aufsteigers sind keineswegs nur an Einzelnen festzumachen.
Ein Kardinalproblem des HSV ist es, dass Polzin seit dem Vorbereitungsbeginn Widerspenstigkeit predigt, seine Formation aber im Gewand von Chorknaben daherkommt. In den Katakomben der Allianz-Arena hat er dies während der Pause offenbar deutlich angesprochen. Keeper Daniel Heuer Fernandes, der mit mehreren Großtaten Schlimmeres verhindert hatte, verriet hinterher: „Es waren scharfe Worte dabei. So konnten wir uns nicht präsentieren.“ Auch Sportvorstand Stefan Kuntz gab am Sky-Mikrofon Einblicke in die Halbzeitansprache: „Der Trainer hat gefragt, ob wir uns gut fühlen, wenn wir am nächsten Tag durch Hamburg gehen?“
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Kuntz erstellte wie sein leitender Angestellter eine lange Mängelliste nach den ersten 45 Minuten: „Wir waren nicht aktiv, haben nicht den Rhythmus gestört. Wir standen nur daneben, haben nicht attackiert.“ Das änderte sich im zweiten Durchgang mit den Einwechslungen von Elfadli, Jonas Meffert und auch Rayan Philippe, allerdings eben auch gegen einen Kontrahenten, der in den Kraftsparmodus geschaltet hatte. Die Ableitung aus der zweiten Hälfte von Remberg, der erklärte, „wir können Stolz sein, wie wir versucht haben, zurückzukommen“, könnte sich freilich als Irrglaube erweisen. Denn nur, weil es gegen den FC Bayern im zweiten Durchgang nicht so schlimm wurde, wie es nach dem ersten zu befürchten gewesen war, reicht dies noch lange nicht, um in einer Woche gegen das aktuelle Schlusslicht Heidenheim erfolgreich sein zu können. Und genau das ist elementar für den immer noch torlosen HSV.
Immerhin Polzin deutet an, dass er nicht den Fehler begehen wird, die nicht ganz so schlimme zweite Hälfte überzubewerten: „Wir müssen in dieser Liga in jedem Spiel ans Maximum gehen. Das haben wir in München in Phasen nicht geschafft, und schaffen wir das nächste Woche nicht, dann werden wir auch da keine Chance haben.“

