Gegen Union Berlin bietet sich Bayer 04 die Chance, erstmals in dieser Saison zwei Spiele nacheinander zu gewinnen. Gelingt dies nicht, droht Leverkusen ein dauerhaftes Kopfkino. Dabei kämpft der Werksklub mit einem Problem, das eigentlich keines ist: eigenen Führungen.
Ungewohnte Leverkusener Schwächen
Erlebt eine Mannschaft eine schwierige Phase, in der die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen, wird oft ein Faktor in den Vordergrund gestellt. Man müsse auch mal in Führung gehen, lautet dann ein Wunsch. Mit dem Vorteil eines Vorsprungs würde man sich halt viel leichter tun zu gewinnen. Und so ist es im Regelfall auch.
Bayer 04 stellt in dieser Saison bislang die Ausnahme zu dieser Regel dar. Eine Führung vermittelt dem Werksklub offenbar weder die Sicherheit noch den entscheidenden taktischen Vorteil, um eine Partie für sich zu entscheiden. So ging die Werkself in all ihren fünf Bundesligapartien in dieser Saison 1:0 in Führung, doch nur zweimal reichte dies zu einem Dreier. Beim 3:3 in Bremen verspielte Bayer sogar ein 2:0 und ein 3:1. Auch im jüngsten Champions-League-Spiel gegen die PSV Eindhoven (1:1) am Mittwoch wusste die Mannschaft von Kasper Hjulmand den Vorteil des ersten Treffers nicht gewinnbringend zu nutzen.
„Für manche Spieler ist die Phase wie eine Vorbereitung. Wir brauchen mehr Spieler, die 90 Minuten durchziehen können.“ (Kasper Hjulmand)
Ein Problem, das Leverkusens Trainer erkannt hat. Auch den einen oder anderen Grund dafür hat er schon gefunden. Da ist zum einen die erstaunliche Passivität seiner Mannschaft nach dem 1:0 gegen Eindhoven, als sich Bayer zu weit zurückzog, die spielstarken Niederländer in die Partie holte. „Es ist sehr wichtig, dass wir die Mentalität beibehalten, proaktiv zu spielen, dass wir weiter die Initiative ergreifen. Manchmal muss man tief verteidigen, aber es ist wichtig, dass die Mentalität die richtige ist“, betont Hjulmand – nämlich die, nach einer Führung einen weiteren Treffer nachlegen zu wollen.
Zudem hat der 53-Jährige den unterschiedlichen Stand in der Physis im Kader, zu dem viele Spieler erst sehr spät und ohne Vorbereitung gestoßen sind, als Ursache ausgemacht. „Es geht auch um die physische Komponente. Gegen Eindhoven habe ich dreimal wegen Verletzung oder Ermüdung wechseln müssen. Für manche Spieler ist die Phase wie eine Vorbereitung. Sie müssen ihre Physis Stück für Stück aufbauen“, erklärt Hjulmand, „wir brauchen mehr Spieler, die 90 Minuten durchziehen können.“
Nach dem physischen droht auch ein mentales Problem
Keine gute Voraussetzung, wenn der Gegner Union Berlin heißt, der zwar spielerisch beileibe nicht Angst und Schrecken verbreitet, aber „sehr lauf- und zweikampfstark“ ist, wie Leverkusens Trainer weiß. Zudem verfügt das Baumgart-Team über eine Stärke mit Ball: das Konterspiel über die drei Offensivkräfte.
Gegen die „Eisernen“ wäre eine Leverkusener Führung also besonders wertvoll, damit diese ihren Matchplan, tief stehen und kontern, nicht durchziehen können. Allerdings müsste Bayer mit einem 1:0 dann sorgsamer umgehen als bisher. Sonst droht der aufgrund des Umbruchs neu zusammengestellten Mannschaft neben dem physischen auch ein mentales Problem.
Bayer steht an einer entscheidenden Kreuzung der Saison
Denn Bayer 04 steht an einer entscheidenden Kreuzung in dieser Bundesligasaison. Mit einem Sieg gegen Union Berlin und damit erstmals zwei Dreiern nacheinander in dieser Saison könnte der Werksklub zumindest zu einem der beiden Bayern-Verfolger aus Dortmund und Leipzig, die an diesem Spieltag aufeinandertreffen, direkten Kontakt aufnehmen.
Umgekehrt gilt aber auch: Gewinnt Bayer nicht, sind die ersten vier Plätze womöglich bereits ein gutes Stück entfernt. Der deutsche Vizemeister hätte sein durchaus als leicht einzustufendes Startprogramm mit Spielen gegen Hoffenheim (1:2), in Bremen (3:3) gegen Frankfurt (3:1) gegen Gladbach (1:1) beim FC St. Pauli (2:1) und gegen Union mit einer viel zu geringen Ausbeute absolviert. Und wäre in der Verfolgerrolle – allerdings nicht auf Spitzenreiter Bayern München, sondern auf Platz 4.
„Neuer Trainer, viele neue Spieler, die spät kamen. Diese Phase jetzt mit einem Sieg abzuschließen, ist sehr, sehr wichtig.“ (Kasper Hjulmand)
Der dann endgültig misslungene Start würde Fragezeichen hervorrufen bzw. die bestehenden noch deutlich größer werden lassen. Für eine Mannschaft, die sich erst finden muss, stellen Erfolgserlebnisse einen noch viel wichtigeren Faktor dar als für ein eingespieltes Team, das sich auf Automatismen und feste Abläufe verlassen kann. Ein weiterer Misserfolg würde Hjulmands Arbeit deutlich erschweren.
Dem Dänen ist dies bewusst. Und deshalb betont dieser die Bedeutung eines Erfolgserlebnisses. „In dieser Phase ist es ein so wichtiges Spiel für uns. Die Mannschaft hat einen neuen Trainer, viele neue Spieler, die spät kamen – jetzt haben wir ein paar Spiele gemacht. Diese Phase jetzt mit einem Sieg abzuschließen“, sagt der Trainer, „ist sehr, sehr wichtig.“ Gibt die Partie gegen Union doch den Trend vor. Eine erste mentale Befreiung oder dauerhaft drohendes Kopfkino?
Bayer spielt auch gegen seine Herbstphobie vor Länderspielperioden
Um Letzteres zu vermeiden, muss Leverkusen neben dem Problem mit den verspielten Führungen noch eine andere Serie durchbrechen: die Herbstphobie vor Länderspielperioden. In der Hinrunde der Vorsaison blieb Bayer in den betreffenden drei Partien gegen Leipzig (2:3), gegen Kiel (2:2) und in Bochum (1:1) sieglos. In dieser Saison musste Hjulmand-Vorgänger Erik ten Hag nach dem 3:3 in Bremen gehen. Die Partie gegen Union wird also in vielerlei Hinsicht ein Kampf gegen das Kopfkino.

