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„Grabowski und Hölzenbein haben mich verzaubert“

Rund um die Frankfurter Eintracht war häufig viel Theater. Heute geht es am Main sehr viel ruhiger zu. Dafür gibt es nun ein Bühnenstück über sie – es heißt Adlerherzen. Geschrieben hat es in Henni Nachtsheim ein großer SGE-Fan.

Henni Nachtsheim über sein Theaterstück und die Liebe zur Eintracht

Nachtsheim wurde zuerst als Sänger und Saxophonist der Rockband Rodgau Monotenes bekannt. Mitte der 1980er gründete er mit Gerd Knebel das Comedy-Duo Badesalz. Längst spielte da die Eintracht schon eine Hauptrolle für den Musiker, Comedian, Schriftsteller und Schauspieler, der auch Kolumnen und Bücher über seinen Lieblingsverein schreibt. Mit dem kicker sprach der 67-Jährige als Fan mit pochendem Adlerherzen.

Herr Nachtsheim, Sie sind als großer Fußball- und vor allem Eintracht-Fan bekannt. Aber in der Familie mussten Sie noch missionarisch wirken.

Wir hatten leider die große Diskrepanz, dass ich ein riesiger Fußballfan bin und mein Sohn Max sich für Fußball weniger als null interessierte. Und das war dann der Ansatz, in unserem Podcast „Wie Vater und Sohn“ fünf bis zehn Minuten über Fußball zu reden. Ich muss Max mit irgendwelchen ideologischen Vorträgen überzeugen, dass Fußball doch geil ist. Mittlerweile sind wir sehr fortgeschritten. Jetzt muss ich noch ein Trikot für ihn bei der Eintracht bestellen, dann gehen wir zu einem Heimspiel.

Sind wenigstens Ihre beiden Töchter schon Fußballfans?

Nein, auch nicht.

Was ist denn bei Ihnen schiefgelaufen?

Meine jüngste Tochter habe ich gegen Nürnberg ins Stadion mitgenommen, es war ein Bundesliga-Spiel, kein gutes, ein blödes 1:1. Ich fragte sie, willst Du das nochmal sehen? Sie sagte: Auf keinen Fall!

Alle denken, Sie seien ein waschechter Hesse. Dabei wurden Sie in Wuppertal geboren.

Ein paar Tage nach meiner Geburt sind meine Eltern nach Neu-Isenburg bei Frankfurt gezogen. Wären sie zwei Tage vorher dorthin gezogen, wäre alles gut.

Sie wären fast Sportjournalist geworden.

Mein Vater war Journalist. Ich habe bei der Frankfurter Neuen Presse in der Sportredaktion einige Jahre Sonntagsdienst gemacht, aber dann kamen die Rodgau Monotones und Badesalz dazwischen.

„Ich fände es auch viel spannender, wenn die Kickers in der Bundesliga wären.“ (Henni Nachtsheim)

Wussten Sie, dass die Südwest-Redaktion des kicker in Offenbach ist?

Ist damit auch die Frage verbunden, ob ich das schön finde? (grinst)

Macht das was mit Ihnen?

Ich muss sagen: Dieses Kickers-Offenbach-Frankfurter-Eintracht-Ding ist so wie es der Club mit Fürth hat. Das ist tatsächlich immer noch tief verwurzelt und sehr verbissen. Aber wir spielen mit Badesalz flächendeckend in der Region. Im Capitol in Offenbach haben wir mit dem letzten Programm viermal gespielt. Das ist eine der besten Locations im Rhein-Main-Gebiet. Es wäre irgendwie absurd, die Stadt und die Kickers zu  hassen, nur aus dieser Frankfurt-Tradition heraus. Ich fände es auch viel spannender, wenn die Kickers in der Bundesliga wären. Die Derbys früher waren einzigartig. Die Kickers sind aber schon lange viel zu weit weg. Ich hoffe, dass sie mal wieder näher kommen. Ich kenne viele Eintracht-Fans, die das begrüßen würden.

Nicht jeder würde das teilen.

Das stimmt auch wieder! Ich habe mal einen Song geschrieben, „Herz rotschwarz gestreift“, also einen Eintracht-Song, und den in einem Studio in Offenbach aufgenommen. Das steht auch auf der CD ganz klein drauf: produziert in den City Music Studios Offenbach. Daraufhin gab es im Internet einen Aufruf von ein paar Fans, die Single zu boykottieren. Obwohl es ein Eintracht-Song ist, aber eben im falschen Studio aufgenommen. Das ist schon sehr „special“.

Das erste Trikot: Biene-Maja-T-Shirt und Pelé mit Doppel-L

Jeder Fan hat sein Erweckungserlebnis im Fußball. Wann hat es Sie erwischt?

Ich habe selbst Fußball gespielt, weil meine Mutter mich in der D-Jugend einfach mal angemeldet hatte. Mit der Begründung, ein Junge, der so gerne im Fernsehen Fußball schaut, spiele auch selber gut. „Was der Pelé kann, kannst Du auch“, war der Satz. Die D-4 war allerdings das Loser-Becken des Vereins. Da hat es auch nichts genutzt, dass meine Mama mir ein Brasilien-Trikot geschenkt hat. Was aber eigentlich ein Biene-Maja-T-Shirt war, auf das sie hinten noch Pelé draufgeschrieben hat. Mit Doppel-L. Da bin ich erst einmal jede Woche vorgeführt worden … Zur Eintracht bin ich tatsächlich gekommen, als ich das erste Mal ins Stadion gegangen bin. Ich war eigentlich 1. FC Köln-Fan, denn ich war vollkommen von Wolfgang Overath besessen. Ich ging alleine ins Stadion, mein erstes Bundesliga-Spiel, die Eintracht gegen Köln. Und da waren plötzlich Grabowski und Hölzenbein – und schon wurde ich mit meiner Affinität zu technisch gutem Fußball völlig verzaubert. Ich habe meinen Köln-Schal an den Zaun gehängt und mir von meinem Taschengeld einen Eintracht-Wimpel gekauft. Dann war es um mich bis heute geschehen.

Schöne Geschichte.

So etwas hat, glaube ich, jeder Fan. Der Verein kommt zu uns, nicht wir kommen zum Verein. Alte Fußball-Weisheit.

Sie sind mit einer Diva groß geworden, der Diva vom Main.

Ja, wir sind viermal abgestiegen, viermal wieder aufgestiegen. Was uns aber keineswegs demütiger macht! Sobald wir nur vorne auf Rang fünf oder sechs der Tabelle stehen, wird sofort von der Meisterschaft geredet. Jetzt auch schon wieder… (lacht) Ja, ich glaube, die Diva ist in unserer DNA.

Man bekommt so ein Image auch nicht mehr heraus.

Dieses Launenhafte, dass wir in der einen Woche einen großen Gegner schlagen und die Woche darauf gegen einen Abstiegskandidaten verlieren, das passiert natürlich auch heute ab und zu wieder mal. Aber es ist nicht mehr ganz so wild wie früher. Überhaupt ist der Verein im Laufe der letzten Jahre um etliches seriöser geworden. Was wir auch stark Heribert Bruchhagen zu verdanken haben.

Haben die jüngeren Erfolge den Verein verändert?

Na, dem Selbstvertrauen dürften sie nicht geschadet haben. Aber wir wissen sie natürlich auch sehr zu schätzen! Ein Freund von mir,  Matthias „Matze“ Thoma, der Leiter des Eintracht-Museums, hat nach dem Pokalsieg gegen die Bayern 2018 gesagt, für ihn muss nix mehr kommen bis zum Lebensende, er sei damit fein. Ihm als einem alten, treuen Fan reichte das für immer. Dass wir dann ein paar Jahre später noch die Europa League gewinnen, ist für ein paar von uns eigentlich schon zu viel (lacht). Das konnte in Frankfurt keiner so richtig glauben. Das hat ein Meer der Fassungslosigkeit ausgelöst.

Die Heimkehr nach dem Gewinn des DFB-Pokals war schon cool, oder?

Ja, ja, das war irre. Nach Sevilla war es aber noch krasser. Da war die Stadt im Ausnahmezustand. Du kamst ja gar nicht mehr rein. In allen Stadtteilen waren die Leute auf der Straße. So habe ich Frankfurt noch nie gesehen.

Was zeigt, dass der Fußball Menschen zusammenbringt, Identität schafft.

Genauso ist es! In Frankfurt siehst Du mittlerweile auf jedem dritten Auto hinten einen Adler. Ich merke es auch an mir selbst: Wenn mir einer die Vorfahrt nimmt, meckere ich erstmal. Hat er aber den Adler hinten drauf, fahre ich weiter und denke: So schlimm war’s net.

Wird im Fußball zu selten gelacht?

Bei der Schnittmenge von Humor und Fußball muss man schon aufpassen. Vor vielen Jahren war ich Co-Kommentator bei einem Spiel FSV Frankfurt gegen Viktoria Aschaffenburg. Der Hessische Rundfunk hatte mich gebeten, als witziger Typ an der Seite von Dirk Schmidt zu kommentieren. Nach zehn Minuten glühten die Telefone, weil irgendwelche Rentner sich beim Sender darüber aufregten, dass ich irgendwas Lustiges erzählt hatte. Dann kam der Regisseur über Kopfhörer und sagte: Sei mal weniger lustig, wir bekommen dauernd Beschwerden. Am Ende habe ich einfach den Mund gehalten und das ausgesessen. Es ist ein schmaler Grat.

Nun sind Sie mit Adlerherzen, einem Bühnenstück für Eintracht-Fans, am Start.

Die Idee dafür hatte ich schon 2019, als Fredi Bobic noch in Amt und Ehren war. Erstmal habe ich überlegt, was alles darin vorkommen muss, und kam zu dem Schluss, dass in so einem Stück drei Säulen berücksichtigt werden müssen: die sportlichen Erfolge der jüngeren Zeit, die Vereins-Historie, und dann aber vor allem wir Fans mit all unserem Geschwätz, unseren Ängsten, unseren Freuden, mit all unserem Aberglaube. Das Konzept fand Bobic super, und hat mich eingeladen, das dem kompletten Eintracht-Vorstand präsentieren. Das war für mich wie die Rückkehr zur Abiturprüfung. Da saßen Axel Hellmann und seine Vorstandskollegen, und ich musste es vorstellen. Sie waren aber zum Glück alle ganz angetan. Dann wollten wir das um die 40-mal in der Jahrhunderthalle aufführen, 2500 Leute passen dort rein … aber dann hat Corona alles weggefegt. Das Projekt war tot. Doch nach Sevilla hat Axel Hellmann angerufen, und mir gesagt, sie fänden die Idee immer noch gut. Im April starten wir jetzt endlich doch noch, und zwar im Bürgerhaus Dreieich, geplant sind zunächst 20 Aufführungen. Das ist zwar eine etwas kleinere Location, aber es ist ein tolles Haus, und genau richtig um zu starten!

Was ist die Story?

Als roten Faden gibt es eine junge Frau, Ende 20. In der ersten Szene arbeitet sie in einem Schnellimbiss, im Hintergrund sieht man das Stadion. Sie ist Mini-Jobberin und hat ihren Neffen zum 10. Geburtstag eine Dauerkarte versprochen. Aber es sind Vierlinge und sie muss jede Menge Jobs annehmen. Wir begleiten sie von Szene zu Szene bei ihren Jobs. Diese Jobs haben immer etwas mit der Eintracht zu tun. Zum Beispiel gibt es eine Situation in einer Eintracht-Fankneipe, in der sie bedient, und wo der ganze Stammtisch sich darüber streitet, was das geilste Tor überhaupt war … einer erzählt, wie Bernd Nickel damals gegen Kickers Offenbach, sechs Meter in der Luft liegend, das Ding reingeschweißt hat .. alle übertreiben maßlos…und zum Schluss gibt es einen echt schönen Song namens „Eigentlich waren sie alle schön…“ und dazu laufen auf einer großen Leinwand drei Minuten lang die schönsten Tore der Eintracht.

Sie hatten Bruchhagen bereits erwähnt, auch Hellmann …

Natürlich hat so eine Erfolgsgeschichte wie die der Eintracht mehrere Väter. Markus Krösche war ein Glücksgriff. Aber Axel Hellmann macht es in der Chefetage am längsten und hat mit seinen Visionen und seinem Mut, was zu probieren, den Riesen-Anteil. Er ist ein schlauer, eloquenter Mensch. Genauso wie Phillip Reschke auch, mit dem ich bezüglich des Stücks am meisten zu tun habe. Ich glaube, manchmal nerve ihn, aber er lässt sich nichts anmerken! Den neuen Finanzvorstand kenne ich nicht, aber der scheint auch nicht auf den Kopf gefallen zu sein.

Als Fredi Bobic die kicker-Persönlichkeit des Jahres war, schrieben Sie im kicker eine kurze Würdigung.

Bruchhagen war wie gesagt derjenige, der den Verein erstmal in etwas ruhigeres Fahrwasser gebracht hat. Was immens wichtig war! Dann kam Bobic, der mit großer Skepsis empfangen wurde, aber seinen Vorab-Kritikern schnell den Mund gestopft hat. Weil er gedanklich neue Türen geöffnet hat. Ich kannte ihn von früher, und finde nach wie vor, dass er ein wirklich guter Typ ist. Und sehr humorvoll!

Und der aktuelle Trainer?

„Ich finde Dino Topmöller super, und freue mich wahnsinnig für ihn.“ (Henni Nachtsheim)

Ich finde Dino Topmöller super, und freue mich wahnsinnig für ihn! Auch, weil er letztes Jahr extremen Gegenwind bekommen hat. Er wurde unverhältnismäßig gebasht, was ich ehrlich nicht mochte!

Es geht mit der Kritik immer so schnell, nicht nur bei der Eintracht.

Fußball ist das Schnelllebigste überhaupt. Mit Thorsten Lieberknecht bin ich befreundet. Sie haben ihn in Darmstadt durch die Stadt getragen, jetzt ist er weg.  Das geht unheimlich schnell in der Branche. Ich bin froh, dass ich als Künstler mit meinem Badesalz-Partner seit 40 Jahren autonom bin!

Die absoluten Heroes: Grabowski und Netzer

Lassen Sie uns nochmal kurz romantisch werden. Wer waren in der Vergangenheit Ihre Helden, in Frankfurt und im deutschen Fußball überhaupt?

Meine beiden größten Heroes waren Jürgen Grabowski und Günter Netzer. Mit Grabowski war ich befreundet. Sein Tod hat mich schwer mitgenommen. Als ich ihn damals habe spielen sehen, wünschte ich mir immer, nur eine Halbzeit auf Rechtsaußen so zu spielen wie er! Nur einmal so eine Flanke, eine einzige Flanke mal so zu schlagen wie er das andauernd gemacht hat. Günter Netzer habe ich nach einem Auftritt für den DFB in Baden-Baden kennengelernt. Meine Freundin stand daneben und hat mit den Tränen gekämpft vor Freude, weil sie genau gewusst hat, dass mir das sehr viel bedeutete.

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