Nach der höchsten Niederlage in der Bundesliga-Geschichte von RB Leipzig ist die Aufarbeitung in vollem Gange. Auch Red-Bull-Fußballchef Jürgen Klopp war am Wochenende zur Analyse angereist.
RB erwägt keinen Protest wegen aberkanntem Tor
Einen Protest wegen der faktisch richtigen, aber aufgrund des unzulässigen VAR-Eingriffs regeltechnisch umstrittenen Aberkennung des Tores zum vermeintlichen 1:4 wird man nach kicker-Informationen nicht einlegen. Vielmehr gilt bei den Entscheidern von RB Leipzig und dem Fußball-Imperium des Mutterkonzerns seit der Rückkehr aus München am Samstag alle Konzentration der internen Aufarbeitung des 0:6-Debakels beim FC Bayern. Maßgeblich beteiligt war dabei am Wochenende neben Trainer Ole Werner und Sport-Geschäftsführer Marcel Schäfer auch Jürgen Klopp.
- Der DFB muss Kimmichs Gelbe Karte streichen
Der seit Jahresbeginn als Fußballchef von Red Bull im Hintergrund die Fäden ziehende Erfolgscoach war am Samstag ebenfalls in Leipzig eingetroffen, um über den desaströsen Saisonstart zu diskutieren und das Vorgehen in der letzten Woche vor Schließung des Transferfensters zu beraten. Auch intern war man geschockt vom zusammenhanglosen Auftritt der Mannschaft und der katastrophalen Körpersprache von vermeintlichen Leistungsträgern wie Lois Openda und Xavi. Vom in der Vorbereitung viel zitierten Aufbruch war in der Allianz-Arena nichts zu sehen. Vielmehr erinnerte die Darbietung auf fatale Weise an die vergangene Krisen-Saison, als fehlende Überzeugung und mangelhafte Wehrhaftigkeit ständige Begleiter waren.
Divenhafte Auftritte und Aussetzer
„Es geht darum, die richtigen Schlüsse zu ziehen“, sagt Werner, und das betrifft in erster Linie den Cheftrainer selbst. Das Festhalten am abwanderungswilligen Xavi (22) zahlte sich jedenfalls nicht aus. Der Niederländer und der ebenfalls indisponierte Mittelstürmer Lois Openda (25) standen mit ihren divenhaften sinnbildlich für die fehlende Bereitschaft, sich gegen Widerstände zur Wehr zu setzen. Und in der Abwehr wirkte der eigentlich als Leistungsträger eingestufte Castello Lukeba (22) wie schon so oft in der vergangenen Saison gedanklich abwesend – sowohl bei den ersten beiden Gegentoren wie auch bei seinem hanebüchenden Freistoß-Dribbling vor dem vermeintlichen Treffer von Antonio Nusa (20).
Bitshiabu statt Lukeba
„Man muss ganz klar ansprechen, dass wir in alte Facetten zurückgefallen sind. Dass wir so auseinanderfallen, darf uns nicht passieren.“ Die Analyse des neuen Kapitäns David Raum (27) trifft den Nagel auf den Kopf. Werner ist nun gefordert, bei den Konsequenzen die richtige Dosis zu finden und nicht gleich alles über den Haufen zu werfen. Angesichts der Eindrücke in der Vorbereitung war es ohnehin verwunderlich, warum der fahrige Lukeba den Vorzug gegenüber seinem französischen Landsmann El Chadaille Bitshiabu (20) erhielt. Der Youngster drängt nun erst recht in die Startelf.
- Die Einzelkritik zum Auftaktspiel
Mittelfeld-Besetzung passt so nicht
Schon vor einer Woche im DFB-Pokal beim 4:2 in Sandhausen offenbarte RB alarmierende Mängel in der defensiven Stabilität, die dem Viertligisten neben den beiden Toren weitere Chancen ermöglichte. In München stimmten die Abstände überhaupt nicht, kam aus dem Mittelfeld zu wenig Ordnung und Stabilität, bekamen Nicolas Seiwald (24) und Xaver Schlager (27) keinen Zugriff. Die Partie nährte die Zweifel ob der von Werner als Achter aufgebotene Schlager dort tatsächlich optimal aufgehoben ist, oder ob die Qualitäten des robusten und zweikampfstarken Routiniers nicht besser auf der Sechs aufgehoben sind. Zumal es für die Achter-Position in Neuzugang Ezechiel Banzuzi (20) einen in der Vorbereitung vielversprechend agierenden Bewerber gibt.
XXL-Kader wird zum XXL-Problem
Werner hat aktuell reichlich personelle Alternativen in seinem Kader, und genau das wird augenscheinlich zunehmend zu einem atmosphärischen Problem. Mit – ohne Eigengewächse – 31 Profis ist der Kader viel zu groß, gibt es viel zu viele Spieler, die sportlich keine Perspektive haben und/oder vergeblich nach einem neuen Arbeitgeber suchen. Für Xavi, der mehrfach seinen Wechselwunsch hinterlegt hat, warten die RB-Verantwortlichen weiterhin auf ein Angebot des FC Chelsea. Der fußballerisch begabte, aber in der vergangenen Saison wegen seiner Ego-Auftritte auch in der Mannschaft umstrittene Mittelfeldspieler soll nach den Vorstellungen der RB-Bosse mindestens 70 Millionen Euro bringen und damit für das vorgegebene Transferplus sorgen.
Bei Amadou Haidara (27), dem eine Offerte des FC Paris vorliegt, und Elif Elmas (25), den der SSC Neapel ausleihen will, zeichnen sich immerhin Lösungen ab. Die aber sind bei den langjährigen RB-Profis Lukas Klostermann (29), Kevin Kampl (34) und Timo Werner (29) nicht in Sicht. Das sportlich ausgemusterte Trio pocht augenscheinlich auf den bestehenden Verträgen, die bei Werner und Kampl noch ein Jahr und bei Klostermann gar bis 2028 laufen. Dass eine solche Situation ihr gutes Recht ist, aber auf Dauer auch eine ernste Belastungsprobe für die Kabine werden kann, steht außer Frage. Und trotzdem ist gegenüber den Spielern die Verfahrensweise von Schäfer angebracht, sie nicht in einer Trainingsgruppe zwei auszugliedern und zu isolieren.
Was passiert mit Vermeeren?
Zum Kreis der Frustrierten zählt inzwischen auch Arthur Vermeeren (20). Der zunächst von Atletico Madrid ausgeliehene Belgier war in der vergangenen Saison mit 39 Pflichtspielen (26 in der Startelf) ein Dauerbrenner, weshalb für RB die Kaufpflicht über 20 Millionen Euro griff. In München aber war für Vermeeren nicht einmal Platz im 20-köpfigen Spieltagskader, womit sich die Frage stellt, ob der Mittelfeldspieler seine Situation auf den letzten Drücker noch durch einen Vereinswechsel verändern will.

